Die deutschen Landschaften und Stämme. 43
Friesen, der unserer Kriegs- und Handelsflotte die trefflichsten Matrosen liefert,
der durch seine Deichbauten dem Meer den fruchtbaren Schwemmlandboden der
Marschen abgerungen, ihn mit Gehöften und Dörfern besiedelt hat und durch muster-
hafte Feldwirtschaft zu Wohlstand, ja Reichtum gelangt ist.
Das ganze Westelbische Gebiet erfüllen, abgesehen von den Inseln und Küsten-
strichen, die Niedersachsen, der größte und wichtigste Volksstamm des Tieflands.
Der vielfach von dürrer Geest oder ödem Moor gebildete Boden zwingt zu harter,
wenig lohnender Arbeit, verlangt große Wirtschaftsgebiete und begünstigt die Einzel-
siedlung. So manche Charaktereigenschaften des Niedersachsen erklären sich hieraus,
so namentlich sein gemessenes Wesen, seine Vorsicht, seine ernste, ruhige Gemütsart,
seine Einfachheit und Bestimmtheit auf der einen Seite, Selbstbewußtsein und hoher
praktischer Sinn, gepaart mit starker Freiheitsliebe, auf der andern Seite, Eigen-
schaften, die in der ruhmvollen Geschichte der Niedersachsen von Hermann dem Che-
ruskersürsten bis zu den Befreiungskriegen und namentlich in den berühmten Staats-
männern und Geschichtschreibern, die diesem Boden entsprossen sind (Stein, Har-
denberg, Bismarck; Möser, Schlosser, Niebuhr, Curtius), glänzend hervortreten.
Dagegen war der sächsische Boden für Entfaltung der Künste weniger günstig.
(Hebbel und Reuter.)
Ebenfalls zum großen Teil von Sachsen besiedelt jist -das Ost-
elbische Land; es war seit dem Ausgang der Völkerwanderung slavisch, ja selbst
über die Elbe hinaus in das Gebiet der Altmark und des Obermains waren Slaven
gedrungen und seßhaft geworden. Unter den großen Sachfenkaifern und später unter
den Hohenstaufen begann die Wiedergermanisierung des Ostens, das größte
nationale Werk des deutschen Volkes im Mittelalter, das indessen noch heute nicht
vollendet ist. Polen bevölkern noch großenteils Oberschlesien, Posen und West-
Preußen, Teile des frühern Königreichs Polen; gegen hunderttaufend Mafuren
sind in Ostpreußen seßhaft, ebenso die noch etwas zahlreichern Litauer. Diese
gehören dem Stamm der Letten an, der den Slaven verwandt ist. Die Kolo-
nisation des überwiegend deutschen Ostpreußen war das große Werk des Deutsch-
ritterordens.
Erwerbszweige. Im Ostdeutschen Tiefland (Ostelbien) überwiegt die
Land Wirtschaft. Roggen- und Kartoffelbau waltet in den n. Provinzen vor, ge-
mifchter Anbau in Schlesien, und zwar in beiden Gebieten vorherrschend in Form
des Großgrundbesitzes. In hoher Blüte stehen namentlich Branntweinbrennerei
und Pferdezucht. Doch entfaltet auch die Industrie mehrorts eine bedeutsame
Wirksamkeit. Abgesehn von den großen Werften an der Küste, blüht die Tuch-
industrie besonders in der Mark Brandenburg, so in Luckenwalde, Kottbus, Guben,
dann in Görlitz in Schlesien; Berlin selbst ist die größte Industriestadt des Reiches.
Staßsurt hat große Salzlager, die Provinz Posen Braunkohlenlager, die Samland-
küste liefert Bernstein, Rügen Kreide.
Im Westdeutschen Tiefland wird an der Kultivierung der Moore eifrig
gearbeitet. (S. I S. 56.) Mehrfach sind auch schon in öder Landschaft wohlhabende
Moorkolonien (Fehnkolonien) aufgeblüht. Das glänzendste Beispiel ist Papenburg
in Hannover. Auch die Heide weicht mehr und mehr der Kultur. Große Strecken
werden aufgeforstet oder berieselt und verbessert. Bei Lüneburg und Stade trifft
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Extrahierte Personennamen: Hermann Bismarck Niebuhr Curtius Hebbel Reuter Bernstein
Die Zeit Wenzels (1378 — 1400) und Ruprechts (1400 — 1410.)
81
und wurden reich durch Handel und Gewerbe; unter ihnen nahmen Danzig und Thorn die erste Stelle ein. Deutsche Bauern und Gutsbesitzer wurden angesiedelt und ernteten zumal in den fruchtbaren Weichselniederungen reichen Ertrag. Der Orden führte eine gute Verwaltung, hatte bedeutende Einnahmen und gewann großen Reichtum, während er zugleich nach außen machtvoll dastand.
Allmählich aber wandelten sich die Dinge. Die Ritter halten keine Verfall. Heiden mehr zu bekämpfen, zumal seit die angrenzenden Litauer Christen geworden waren, und allmählich griffen Trägheit, Genußsucht und Schwelgerei im Orden um sich. Dazu waren die Ordensritter wegen ihres Hochmuts bei den Bürgern der Städte und den Landedelleuten nicht beliebt, und gar mancher Untertan des Ordens hielt es heimlich mit den Polen, den Feinden des Ordens und des Deutschtums. Zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts brach ein neuer Krieg mit Polen aus, das seit kurzem mit Litauen zu einem großen Reich verbunden war; und in der Schlacht bei Tannenberg 1410 wurde der Orden geschlagen, der Hochmeister und viele Ordensritter fielen, von den Ordenskomturen entkam nur einer. Zwar gelang es dem Feinde nicht, die Marienburg zu nehmen, und für dieses Mal wurde der Orden gerettet. Aber einige Jahrzehnte später brach der Krieg von neuem aus, und der Orden mußte 1466 im Frieden von Friede von Thorn nicht nur Westpreußen abtreten, sondern auch den Rest seines 1466! Besitzes vom König von Polen zu Lehen nehmen. So unterlag damals der deutsche Staat, der die Wacht an der Weichsel hielt, den slavischen Gegnern, weil ihn das deutsche Reich, Kaiser und Fürsten, im Stich ließen.
§ 84. Die Schweizer Eidgenossenschaft. Während sich die Lage der Bauern fast überall im Deutschen Reiche im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert verschlechterte, waren in den Alpentälern am Vierwaldstätter See Bauernstaaten entstanden, welche alle Versuche sie zu unterwerfen zurückwiesen und sich durch ihre kriegerische Tüchtigkeit zu einer machtvollen Stellung emporschwangen. Seit der Schlacht am Morgarten hatte sich die Eidgenossenschaft sehr vergrößert; acht „Orte" gehörten jetzt dazu, dabei die beiden Städte Zürich und Bern. 1386 zog wiederum ein Herzog Leopold von Österreich aus, um die Eidgenossen dem Hause Habsburg zu unterwerfen; aber wiederum erlitt sein Ritterheer bei Sempach eine Schlacht bei furchtbare Niederlage. Nach der Sage war es Arnold von Winkelried, @i386?* der die Schlacht entschied; soviel feindliche Speere, als er ergreifen konnte, erfaßte er, drückte sie sich mit den Worten: „Sorgt für mein Weib und meine Kinder!" in die Brust und bahnte so den Seinigen eine Gasse in die
Neubauer, Beschicht!. Lehrbuch. B. Hi. 6. Aufl. Q
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Extrahierte Personennamen: Leopold_von_Österreich Leopold Arnold_von_Winkelried
62
Die deutsche Kaiserzeit 919 —1260.
mußte die letzte Feste der Christen im heiligen Lande, Akkon, geräumt werden.
Die geistlickikn Auch die geistlichen Ritterorden mußten nun das Feld ihrer Tätig-' feit anderswohin verlegen. Der deutsche Orden hatte schon vorher die Eroberung Preußens begonnen; der Sitz des Ordensmeisters wurde die hochragende Marienburg an der Nogat. Der Johanniterorden siedelte zuerst nach der Insel Rhodus, später, als ihn der türfische Sultan Suleiman in der Reformationszeit von dort vertrieb, nach Malta über. Dort hat der Orden geherrscht, bis Napoleon auf seiner Fahrt nach Ägypten die Insel besetzte.
Der Tempelorden fand ein frühes Ende. Er reizte durch seinen Reichtum die Habgier des Königs Philipp des Schönen von Franf-retch; von diesem gedrängt, hob zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts der Papst den Orden auf.
Deittschland im dreizehnten Jahrhundert.
Das Lehns- z 8 67. Das Rittertum. In jenen Jahrhunderten beherrschten das
tücf Clt
Lehnswesen und das Rittertum bei den Nationen des Abendlandes alle Verhältnisse des Lebens. Das Lehnswesen bestand, wie wir wissen, darin, daß Grundstücke, Grafschaften, Rechte jeder Art von dem obersten Lehnsherrn, dem König, den Belehnten gegen einen Eid der Treue und des Gehorsams verliehen wurden. Zunächst galt die Belehnung nur für die Person des Belehnten; aber im Laufe der Zeit war die Anschauung allgemein geworden, daß die Lehen zu erblichem Besitz verliehen würden. Der Belehnte sonnte die Lehen wieder an andere verleihen. Der Lehnseid verpflichtete vor allem dazu, dem Lehnsherrn im Kampfe bewaffnet, beritten und mit einem reisigen Gefolge beizustehen. Also konnten nur Ritter belehnt werden. Diese bildeten jetzt die Heere; die Bauern, die zur Zeit Karls des Großen so schwer unter der Last der Wehrpflicht gelitten hatten, wurden jetzt nur in Notfällen, zur Landesverteidigung, aufgeboten. Es war eine scharfe Scheidung der Nation in einen Wehr st and, welcher herrschte, und einen Nährstand, welcher beherrscht wurde, eingetreten.
Der ritterliche Dieser ritterliche Berufsstand bildete den Adel der Nation; damals Sl6ei" saniert die Geschlechtsnamen und die Wappen auf. Die Kreuzzüge, in denen deutsche neben französischen, italienischen, englischen Rittern fochten, hatten bewirkt, daß sich die Ritter der gesamten abendländischen Christenheit als eine große Genossenschaft mit bestimmten Bräuchen und Sitten und mit Ritterliche gemeinsamen Pflichten fühlen lernten. Auch eine besondere ritterliche Er-wun8-sie^ung 6iibete au§ Wer eines Ritters Sohn war und sich dem
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Extrahierte Personennamen: Suleiman Napoleon Philipp Karls
66
Die deutsche Kaiserzeit 919 — 1250.
fortwährend zu. Die Gebiete der großen Vasallen wurden immer mehr zu wirklichen Staaten; Fehden und Kriege zwischen den Reichsständen wurden immer häufiger, und es fehlte der Richter, der schlichtend und ^Äschen"strafend hätte einschreiten können. Auch die äußere Macht des Reiches nach^ahm ab. Wo in jener Zeit das deutsche Schwert gegen äußere Feinde sich kraftvoll erwies, war es selten der König, der es führte. Die deutsche Hanse, der Bund niederdeutscher Städte, machte dem deutschen Namen auch jetzt noch Ehre und erwarb sich gerade in jenen Tagen des Verfalls der Königsmacht gewaltiges Ansehen; der deutsche Ritterorden leistete Großes für das deutsche Wesen; aber als die Städte und der Orden in Not kamen und von Fremden bedrängt wurden, kamen ihnen Kaiser und Reich nicht zu Hilfe. Ober- und Mittelitalien ferner, die seit Otto dem Großen für der Hoheit des deutschen Königs untertan gegolten hatten, gingen Deutschland verloren. Ja, auch deutsche Lande lösten sich vom Reiche los: die Schweiz z. B. wurde ein selbständiges Land. So brachte denn die Zeit seit dem Interregnum eine zunehmende Auflösung des deutschen Rei
8-69. Volkswirtschaft. Ackerbau, Gewerbe und Handel. Während aber das deutsche Staatswesen seinem Verfall entgegenging, erblühte die Landwirt-deutsche Volkswirtschaft und wuchs der deutsche Wohlstand. Die Land-Wnft‘ wirtschaft zunächst hatte große Fortschritte gemacht. Deutschland, vor 4—500 Jahren mit Ausnahme der Rheinlande größtenteils ein Waldland, war jetzt ein Land blühender Fluren, das mit zahlosen Dörfern besetzt war. Die Rheinebene von Basel bis Mainz war immer noch der am besten angebaute Teil, der „Gartengermaniens"; aber auch in Sachsen und anderen Gebieten des Reiches war der Urwald gelichtet, auf den Rodungen waren Ansiedlungen entstanden, und die Bauern waren, wenn auch zumeist unfrei und ihren Herren zur Zinszahlung verpflichtet, vielfach wohlhabende Leute.
Kolonisation. Ja, weit über die Elbe hinaus, die so lange die Grenze des deutschen Landes gebildet hatte, wohnten deutsche Bauern, welche die Waldbäume gefällt und den Boden urbar gemacht hatten. Brandenburg, Pommern, Schlesien, Preußen und Teile Böhmens waren durch deutsche Ritter, Mönche, Bürger und nicht am wenigsten Durch deutsche Bauern dem Deutschtum gewonnen worden; selbst in dem fernen Siebenbürgen entstanden deutsche Ansiedlungen.
Gewerbe. Neben der Landwirtschaft erblühte das Gewerbe. Hinter den Mauern der Städte war das Handwerk emporgeblüht, das, in viele Zweige sich verteilend, die mannigfachsten Bedürfnisse befriedigte. Die
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Extrahierte Personennamen: Otto
Extrahierte Ortsnamen: Mittelitalien Deutschland Deutschland Rheinlande Basel Mainz Sachsen Brandenburg Pommern Schlesien
80 Die Zeit der zunehmenden Auflösung des Reichs 1273—1519.
Hafenstraße noch heute den Namen deutsche Brücke trägt, in London, wo sich die deutschen Kaufleute im Stahlhof zusammenfanden, ihre Speicher und Kontore hatten und sich selbst Recht sprachen. Damals lag der gesamte Großhandel von der Newa bis zur Themse und Schelde in deutschen Händen.
Niedergang Es ist begreiflich, daß sich die nordischen Völker gegen eine solche Macht er 1 ' der Hanse auflehnten und sie von sich abzuschütteln suchten. Aber erst seit
dem Ende des Mittelalters nahm die Bedeutung des Bundes ab. Damals begannen die nordischen Staaten, vor allen England, innerlich zu erstarken. Für den Bestand der Hanse war ferner der Umstand schädlich, daß eine Reihe von Städten, so z. B. Berlin-Kölln, von ihren Landesherren gezwungen wurden, aus dem Bunde auszutreteu. Dazu kam, daß ihr der starke Schutz des deutschen Königs fehlte; denn die Könige jener Zeit waren entweder zu ohnmächtig oder zu sehr mit ihren eigenen Interessen beschäftigt, als daß sie für das Gedeihen des deutschen Handels Sinn gehabt hätten. So ist es gekommen, daß die Hanse, obwohl sie noch lange fortbestand, immer machtloser wurde. Selbst der Ostseehandel kam in späteren Jahrhunderten in die Hände der Holländer und Engländer; noch viel weniger konnten die deutschen Kaufleute daran denken, sich an dem Handel nach Amerika und Indien zu beteiligen, wo andere Völker damals Kolonien gründeten und reichen Gewinn ernteten.
§ 83. Der Staat des deutschen Ritterordens. Zu einer Zeit, wo im übrigen der Ritterstand im Verfall begriffen war, hat der deutsche Ritterorden einen Staat aufgerichtet, der ein Jahrhundert hindurch fest und geschlossen, reich und mächtig dastand; es gelang ihm ein großes Gebiet an der Ostsee für das Deutschtum und das Christentum zu gewinnen, ein Gebiet, das später eins der Kernlande für die norddeutsche Großmacht Preußen werden sollte.
Eroberung Unter Kaiser Friedrich Ii. hatte der Hochmeister Hermann von Preußen^. hon einem polnischen Herzog eingeladen, die ersten Deutschritter
zum Kampfe mit den Preußen ausgesandt. Diese lagen mit ihren Gren>-nachbarn in fortwährendem Kriege; sie waren Heiden, die ihre Götter in heiligen Hainen verehrten und ihnen Bernsteinfeuer anzündeten. Nun entstanden Ordensburgen im Preußenlande. Nach etwa fünfzigjährigen Kämpfen war die Eroberung Preußens vollendet, die Urbewohner waren unterworfen und hörig gemacht. Der Sitz des Hochmeisters wurde die Blütezeit Marienburg, die heute mit ihren hohen Backsteinmauern und säulen-Ordens. getragenen Hallen wieder ausgebaut worden ist. Deutsche Städte entstanden
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Extrahierte Personennamen: B._Berlin-Kölln Friedrich_Ii Friedrich Hermann_von_Preußen^
Extrahierte Ortsnamen: London England Amerika Indien Ritterordens
— 210 —
Feldlager verwandelt, und zahllose Wachtfeuer lohten mit qualmender Flamme zum wetterschwarzen Nachthimmel empor.
Selbst die Domstufen dienten als Schlafstätte, und auf den Steinfliesen der Häuser brannten die Lagerfeuer und ruhten die Soldaten. Pferde und Menschen lagen nebeneinander, ermattet von den Anstrengungen der Flucht und dem ausgestandenen Hunger.
Alle Läden waren geschlossen. In höchster Eile brachten die Bürger ihre Habseligkeiten, die letzten Reste aus der langen Erpressungszeit, in sichere Verwahrung. Sie fürchteten eine allgemeine Plünderung, da bekannt geworden war, daß die fliehenden Franzosen die Dörfer ausgeraubt hatten. Es war darum ein Glück für die Stadt, daß der Kaiser in diesen Tagen mit feinem Gefolge in ihr Aufenthalt nahm. Auf seinen Befehl durchstreiften zahlreiche Wachen nach allen Richtungen die Stadt und nahmen alle, die sich einfallen ließen, Sicherheit und Ruhe zu stören, in Haft und schafften sie ins Biwak.
Unterdessen dauerte der Durchzug der geschlagenen Armee weiter fort und schien tatsächlich kein Ende nehmen zu wollen. Am Tage übertraf das Truppengewühl in den Straßen vom Anger bis zum Brühlertor alles bisher Gesehene. Nur in den Nachtstunden wurde es etwas ruhiger, da ein kaiserlicher Befehl für diese Zeit die Tore selbst feinen Soldaten sperrte. Die fliehende Armee mußte in der Nacht außerhalb der Stadt vorübermar-fchiereu.
Abreise Napoleons: In der Nacht vom 24. zum 25. Oktober verließ Napoleon die Stadt; denn die Preußen und Verbündeten waren ihr bedenklich nahe gekommen. Der Donner ihrer Geschütze rollte schon aus der Ferne herüber, selbst das Knattern des Gewehrfeuers war deutlich hörbar. So wurden schnell die Zelte niedergerissen, die Tornister gepackt und die Gewehre geschultert. Kurz nach Mitternacht marschierte eine Abteilung der kaiserlichen Garde vor der Hosstatt auf und nahm zu beiden Seiten des Eingangs Ausstellung. Dann fuhr der Reifewagen des Kaisers vor. Ihm folgte eine endlose Reihe von Kutschen. Diener mit Pechfackeln bildeten eine Ehrengasse bis zum Wagen. Nachdem dann ein lauter Trommelwirbel gerührt war, trat der Kaiser mit einem reichen Gefolge von Marschällen und Adjutanten aus dem hohen Tor. Den Kopf bedeckte der kleine Dreispitz. Des Kaisers Züge waren finster und bleich. Sein Blick streifte flüchtig die Menge. Fester schlug er den Wettermantel um sich und bestieg den Wagen. Ein General war sein Reisebegleiter. Vom Turm der nahen Wigbertikirche kündete mit dumpfen Schlägen die Glocke die zweite Stunde der Nacht.
Gerade jetzt dröhnte der Widerhall des Gefchützfeuers der Preußen und ihrer Verbündeten gewaltiger über die Stadt. Langsam fetzte sich der Zug der Wagen in Bewegung. Das Auge des Kaisers starrte schweigend in die finstere Nacht. Dachte er viel-
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— 215
davorstehenden Kinderschar, die _ das lustige Tierchen mit Nüssen
fütterte O du glückliche, sorglose Jugend!
u (Nach Const. Beyer u. ct.)
78. Vpie die Preußen endlich in Erfurt einziehen, die Franzosen aber ihren Buszug halten.
6. 3anuar und 16. Itlai 1814.
Einzug der Preußen: Der langersehnte 6. Januar 1814
war da. Am Morgen verkündete ein Anschlag an den Straßenecken den Bürgern den Einmarsch der Preußen. Er jonte um 12 Uhr stattsinden, doch jedermann der Feier sernblerben. -wer ungeachtet dieses Verbotes harrte eine dichte Menge m den Em-zugsstraßen nach dem Schmidtstedtertor zu und ertrug geduldig zum letzten Male die Ausschreitungen der dort ausmarschierten
französischen Regimenter.
Der Einzug verzögerte sich bis nachmittags 2 Uhr. La verkündete endlich ein weithin schallendes Jubelgeschrei die Ankrmst der Befreier. Dem Zuge voran ritt eine Abteilung französischer Reiterei, der noch die Wache aus dem Schmidtstedtertor^ zu Fuß folgte. Dann kamen die Generale Kleist v. Nollendors und v. Börstel mit ihrer zahlreichen Begleitung zu Pferde. Hinter ihnen ritten 6 Trompeter der Landwehr-Ulanen in einfachen, grauen Uniformen^ den Tschako mit dem Kreuz geschmückt. Den Schluß bildete ein Bataillon der schlesischen Infanterie, begleitet von einem Musikkorps. Unter dem Geläut sämtlicher Glocken und dem Jauchzen der Menge gelangte der Zug auf den Anger, wo ihm vom Balkon des Packhofes (Ecke der heutigen Bahnhofstraße) mit Posaunenton das herrliche Lied: „Nun danket alle Gott!"
entgegentönte. Alle waren tief ergriffen, brachte doch der heutige Tag die Erlösung von einer 73tägigen Belagerung unter der Gewaltherrschaft der Franzosen. £Yw...
Störung des Einzugs durch die Franzosen: Plötzlich
fielen aus geringer Entfernung einige Flintenschüsse, und sogleich stürzte sich alles Volk in wildem Gedränge nach der Gegend des Ursulinenklosters, von woher man den Knall gehört Hatte. Ein betrunkener französischer Offizier hatte in seiner Wut von der bei der Natmleonssäuie1) stehenden Wache aus auf das Volk feuern
i) Errichtet zum Andenken an die Geburt des Sohnes Napoleons, der den Titel „König von Rom" erhielt. — Zugleich wurde auch die sogenannte Napoleonshöhe angelegt. Sie wurde am 14. August 1812 von ihrem Schöpfer, dem Präsidenten v. Resch, feierlich eingeweiht und mit einer Büste Napoleons, die in einem Tempel stand, versehen. Doch schon 1813 wurden Tempel Büste durch die Verbündeten bei der Belagerung Erfurts zerstört, und abermals ein Jahr später erhielt die Anlage bei der efen Feier der denkwürdigen Völkerschlacht (am 15. Oktober 1814) den Namen Friedrich Wilhe^shohe und wurde mit einer Büste Friedrich Wilhelms Iii. geschmückt. Das schlichte mal, das sie jetzt ziert, wurde am 18. Oktober 1868 feierlich eingeweiht.
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Extrahierte Personennamen: Napoleons August Napoleons Friedrich_Wilhe^shohe Friedrich Friedrich_Wilhelms Friedrich Wilhelms
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geschlossen heran. „Eine Salve! Dann mit dem Bajonett draus!" ries jetzt eine Stimme. Es war Generalmajor v. Bose, der sich zu Fuß der vorstürmenden Abteilung angeschlossen hatte. Das Massenfeuer wurde abgegeben; doch gleichzeitig erfolgte die österreichische Antwort. Nun galt's! Bei äußerster Anstrengung aller Kräfte ging's mit Hurra dem Feinde entgegen. Doch bald wurden die Schritte kürzer; zuletzt hielt die Spitze, feuerte und — wich zurück. Ihr folgten die übrigen. Das feindliche Feuer war zu stark.
Nachtkampf in Podol: Zum Glück kamen jetzt die ande-
ren Abteilungen heran. Sie erneuten sofort den Angriff, und trotz des mörderischen feindlichen Bleibagels, der ihnen entgegenschlug, gelang es, das erste Gehöft Podols zu nehmen. Der Anfang war gemacht; aber noch lange tobte der Kampf im Innern des Dorfes. Es war unheimlich, in die dunklen, voller Feinde steckenden Häuser einzudringen. Aber bald wurde die Arbeit leichter. Ein großer Schrecken schien die Feinde befallen zu haben. Die meisten von ihnen kamen jammernd und winselnd hervorgekrochen und ergaben sich widerstandslos.
Erfolg des Kampfes: Gegen % 2 Uhr erstarb endlich das
Gefecht, nachdem auch die Jserbrückeu im blutigen Handgemenge genommen waren. So hatte denn im Nachtgesecht bei Podol die 15. preußische Brigade mit verhältnismäßig geringen Verlusten der berühmten „Eisernen" der Oesterreicher den Ort und die wichtigen Jser-Nebergänge entrissen und damit den weiteren Vormarsch gesichert.
Vormarsch auf Münchengrätz: Tags darauf folgte man
dem Lauf der Jfer abwärts auf Müuchengrätz zu. Hier tritt bald hinter Podol an das anfangs flache südliche User ein nicht unbedeutender Höhenzug heran, der gegen den Fluß steil abfällt. Der Bergabhang ist so schroff, daß es den Vorrückenden unmöglich gewesen war, Streifwachen zur Beobachtung des Feindes auf die Höhe zu schicken. Nach den anderen Seiten dagegen ist der Abfall weniger steil. Diesen Umstand hatte sich der Feind nutzbar gemacht und zwei Batterien auf den Muskyberg geschickt, um, unterstützt durch zwei Bataillone Infanterie, den Marsch der Preußen nach Möglichkeit auszuhalten.
Cefterrctchifcher Angriff: Gerade als die Hauptmacht der
8. Division, in deren Verband die Erfurter Regimenter marschierten, den Fuß des Berges erreichte, wurden an feinem oberen Rande einige Dampfwolken sichtbar. Da man nicht erkennen konnte, nach welcher Richtung der Pulverdampf sich bewegte, nahm man an, daß es die Batterie der Vorhut sei, die auf abziehende Oesterreicher feure. Doch die angenehme Täuschung hielt nicht lange an. Bald wurde das Zischen heftiger, kräftiger und länger anhaltend, und ein scharfer Knall folgte dem andern. Nun lief alles auseinander und suchte sichere Deckung im Ehausfeegraben
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— 234 —
und in dem etwas entfernteren, tiefen Eifenbahneinschnitt. Um das Feuer abzulenken und auf sich zu ziehen, fnhren jetzt schnell zwei Batterien am Fuße des Nordabhanges ans. Zwar versprach das Schießen gegen die bedeutende Höhe wenig Erfolg, aber der Hauptzweck wurde erreicht. Bald hatten die preußischen Geschütze ein lebhaftes und wohlgezieltes Feuer des Feindes auszuhalten. Es schien, als regne es Feuer vom Himmel. Der Lärm war betäubend, und nur mit Mühe ließen sich die Pferde halten. Trotzdem versah jeder Kanonier treu seine Pflicht.
Siegreiches Vordringen der Preußen: Ans einmal wurde
das feindliche Feuer schwächer, dann hörte es ganz auf. Der Feind batte den Rückzug antreten müssen. Die 7. preußische Division, die auch am frühen Morgen bei Turnau die Jfer überschritten hatte, war geradewegs auf den Mnskyberg losmarschiert. Dort angekommen, hatten einige ihrer Abteilungen fofort von Nord-osten her die Hochebene des Berges erstiegen und die Oesterreicher vertrieben. Diese mußten auch gegen 11 Uhr Münchengrätz räumen, wenn sie nicht gefangen werden wollten; denn schon hatten die Preußen oberhalb und unterhalb des Ortes die Jser überschritten und näherten sich ihm bedenklich.
Im Biwak bei Dobrawuda: Gegen 3 Uhr nachmittags
bezog die 8. Division endlich bei Dobrawuda Biwak. Die Kräfte der Mannschaften waren völlig erschöpft. Zumal das 32. Regiment hatte, obwohl es im Kampfe selbst nicht zur Verwendung gekommen war, furchtbar gelitten. Unter Mittag hatte es sich nahe bei Münchengrätz in einer engen Talschlucht gesammelt. Glühend heiß brannte die Sonne herunter. Mehrere Soldaten brachen durch Hitzschlag zusammen, und jeden Augenblick blieb einer im Chausseegraben zurück. Es fehlte an Wasser. Die wenigen Brunnen eines nahen Dorfes konnten nicht genug geben, und so warfen sich die Leute an stinkenden Pfützen nieder, um ihren Durst zu löschen. Die Offiziere mußten fcharf zugreifen, um es zu verhindern. — Leider herrschte der gleiche Wassermangel auch im Biwak. Der einzige Brunnen des Ortes war bald ausgeschöpft. Der nur wenige Meter breite Dorfteich mußte daher das Wasser für alle Zwecke liefern. Hier wurden Pferde getränkt, dort wuschen sich Soldaten, an einer anderen Stelle wurden Kleidungsstücke und Kochgeschirre gereinigt, daneben aber schöpften Mannschaften Wasser zum Kochen. Wahrlich, ein sonderbares Bild! Bald umzog sich der Himmel, und alles eilte, Hütten zu bauen. Zu diesem Zwecke wurden die Strohdächer der Häuser abgedeckt. Ein wolkenbruchartiger Regen ging hernieder, doch konnte der Ueberflüß an Regenwasser dem Mangel an Trinkwasser nicht abhelfen. Er hatte nur das Gute, daß alle, obwohl sie tüchtig durchnäßt, erfrischt wurden. (Nach den Reg.-Gesch. d. 31. u. 71. Ins.-Reg.)
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Das Eintreffen des Königs auf dem Schlachtfelde: Gegen 8 Uhr ertönte von rückwärts her, von der Höhe von Dub, lautes Hurrarufen. Der König war auf dem Schlachtfelde angekommen. Es ist Hohenzollernart, in den Stunden der Gefahr dort zu sein, wo für Ehre und Glück des teuren Vaterlandes gekämpft wird. — In dem Augenblicke flog eine Granate heran. Sie schlug, ohne zu Platzen, in eine nickt weit entfernt haltende Schwadron Ulanen. Bald folgten mehrere. Vielleicht gaben die etwa 300 Pferde der Stabswache, die den König begleitete, ein bequemes Ziel. Darum wurde sogleich befohlen, daß das Hauptquartier sich im Gelände verteilen sollte. Der König, die Generale und Bismarck ritten nach Nordosten hinunter in die Ebene. Unweit des Kriegsherrn, welchen Moltke, Roon und Alvensleben umgaben, hielt Bismarck auf einem riesengroßen Fuchs. Wie er im grauen Mantel hoch-ausgerichtet dasaß und die großen Augen unter dem Stahlhelm glänzten, gab er ein wunderbares Bild: ein Riese aus nordischer Urzeit.
Nachdem sich der König über die Gefechtslage unterrichtet hatte, befahl er, daß die erste Armee die Bistritz überschreiten sollte. General v. Bose überschritt auf schnell hergestellten Stegen von Aesten und Brettern den breiten Bach und drang in das anliegende Gebölz ein, aus dem sich der Feind ohne Widerstand zurückzog. Jenseit des Flusses schwenkten dann sämtliche Bataillone etwa um 9>2 Uhr gegen den Hola-Wald, welcher ein vortrefflickes Schußfeld und eine ebensolche Deckung zu bieten schien.
Im Hola-Walde: Der Hola-Wald bildet ein ziemlich regelmäßiges Viereck von etwa 1100 Schritt Ausdehnung südlich der Chaussee von Sadowa nach Lipa. Er enthält längs der Chaussee hochstämmige Laub- und Nadelhölzer, besteht aber im übrigen aus überaus dichtem Unterholz.
Beim Vordringen fanden unsere 31er it. 71er nur schwache Abteilungen des Gegners vor. welche sich ohne Kampf zurückzogen. Mühsam bahnten sich die Musketiere den Weg durch das dichte Gebüsch. Plötzlich — man hatte noch nicht den südlichen Waldsaum erreicht — wurde das Gehölz lichter, und geradeaus erblickte man aus einem kaum 1000 Schritt vorliegenden Höhenzuge bei dem Dorfe Lipa eine lange Artillerielinie. Der Gegner hatte das Unterholz aus einige 30 Schritte vom Waldrande entfernt, um Einsicht zu erlangen. Fast im gleichen Augenblick begrüßte die Preußen ein Hagel von Granaten. Trotz der trüben Witterung zielten die Oesterreicher gut und ihre Granaten schlugen richtig ein. Sie hatten an mehreren Stellen des nach Lipa zugekehrten Saumes Bäume ihrer Rinde beraubt, sodaß die hellen Stämme gute Zielpunkte boten. Das Feuer steigerte sich bald zu einer betäubenden Heftigkeit; Blitz auf Blitz zuckte in weitem Umkreise schnell hintereinander auf, unaufhörlich rollte der Donner und sausend kam Geschoß auf Geschoß mit fürchterlicher Sicherheit daher. Granate
TM Hauptwörter (50): [T28: [Schlacht Heer Feind Mann Armee Napoleon Franzose General Truppe Preußen], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf]]
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